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Neue Richtlinie über den Versicherungsvertrieb – Insurance Distribution Directive (IDD)
Am 23. Februar 2016 trat die neue auf EU-Ebene verabschiedete Versicherungsvertriebsrichtlinie („IDD“ - Insurance Distribution Directive) in Kraft. Sie ist von den Mitgliedsstaaten innerhalb von zwei Jahren umzusetzen. Die österreichische Rechtslandschaft ist sohin bis zum 23. Februar 2018 an die Vorgaben der IDD anzupassen. In Anbetracht der wesentlichen Neuerung der IDD besteht jedoch nicht nur für den Gesetzgeber unmittelbarerer Handlungsbedarf, sondern auch für Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen.
Die nachfolgenden Ausführungen sollen einen Überblick über die Ziele sowie die wesentlichen inhaltlichen Aspekte der IDD geben.
1. Zielsetzungen der IDD & Umsetzungserfordernis in Österreich
Die IDD strebt eine Harmonisierung der nationalen Vorschriften der einzelnen Mitgliedsstaaten für den Versicherungs- und Rückversicherungsvertrieb an. Es soll eine Verbesserung des Verbraucherschutzes erreicht und sichergestellt werden, dass beim Versicherungsvertrieb eine angemessene Berücksichtigung von Kundeninteressen stattfindet.
Dabei wurde der Weg der Mindestharmonisierung gewählt. Die IDD legt demnach einen Mindestinhalt fest, der jedenfalls in die nationalen Rechtsordnungen zu transferieren ist. Darüber hinaus kommt den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung ein gewisser Spielraum zu; insbesondere können auch strengere Regelungen und weitreichendere Informationspflichten vorgesehen werden.
Ob es in Österreich zu einer über die Vorgaben der IDD hinausgehende Umsetzung kommen wird, bleibt abzuwarten. Nachdem die IDD eine Vielzahl an verschiedenen Inhalten, etwa berufsausübungsrechtlicher oder aufsichtsrechtlicher Natur regelt, ist zu erwarten, dass es zu einer Novellierung mehrerer Materiengesetze kommen wird. Als mögliche Beispiele lassen sich etwa die Gewerbeordnung, das Maklergesetz, das Handelsvertretergesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz und das Versicherungsvertragsgesetz anführen.
2. Sachlicher Anwendungsbereich
Die IDD findet auf sämtliche Formen des Versicherungsvertriebs Anwendung. Verbrauchern soll dadurch - unabhängig vom konkret gewählten Vertriebskanal - ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet werden. Zudem sollen zwischen den Vertreibern gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Demnach fallen nicht nur Versicherungsmakler und -agenten, sondern ausdrücklich auch Versicherungsunternehmen oder Reisebüros und Autovermietungsfirmen, die Versicherungsprodukte vertreiben, unter die IDD (Erwägungsgründe 5, 6) (Versicherungsvertreiber).
Aufgrund dieses weiten Anwendungsbereiches gelten die Vorgaben der IDD – anders als nach der bisherigen Rechtslage – auch für den Direktvertrieb durch Versicherungsunternehmen selbst (Erwägungsgrund 7). Davon betroffen wird insbesondere auch der immer bedeutender werdende Onlinevertrieb von Versicherungsprodukten sein. Gerade im Zusammenhang mit den noch zu behandelnden erweiterten Informationspflichten muss mit einem nicht zu unterschätzenden Umstellungsaufwand für Versicherungsunternehmen, die ihre Versicherungsprodukte direkt über das Internet vertreiben, gerechnet werden.
Ebenfalls in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen Vergleichsportale, die verschiedene Versicherungsprodukte einander gegenüberstellen, sofern über diese der Abschluss von Versicherungsverträgen direkt oder indirekt (etwa über Verlinkung auf der Website) erfolgen kann (Artikel 2 Abs 1). Vor diesem Hintergrund wird sich wohl auch die Frage stellen, ob auch bloße Werbeeinschaltungen auf einer Website, die mittels Linksetzung den Weg zum Abschluss eines Versicherungsvertrages ebnen, zur Anwendbarkeit der Richtlinie auf den Werbenden führen. Der Wortlaut der Richtlinie lässt eine Auslegung in diese Richtung jedenfalls zu, sodass aus heutiger Sicht nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch für die Onlinewerbung für Versicherungsprodukte zukünftig ein veränderter Rechtsrahmen zu beachten sein wird.
Ausgenommen vom Anwendungsbereich der IDD sind insbesondere bestimmte Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit, reine Tippgeber und Angehörige anderer Berufsgruppen, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit gelegentlich über Versicherungsschutz beraten oder lediglich allgemeine Informationen über Versicherungsprodukte erteilen, ohne dem Kunden beim Abschluss eines Versicherungsvertrags behilflich zu sein (Artikel 1 Abs 3; Erwägungsgrund 13, 14).
3. Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln
Bereits angesprochen wurde, dass die IDD eine Erweiterung der Informationspflichten, die von Versicherungsvermittlern zu beachten sind, bringt. Hintergrund dieser Regelung ist der Verbraucherschutz. Kunden soll die Möglichkeit gegeben werden, eine wohlinformierte Entscheidung zu treffen. Konkret wird folgender Katalog an (neuen) Informationspflichten vorgegeben:
Best-interest-Maxime: Nach der IDD haben Vertreiber von Versicherungsprodukten gegenüber ihren Kunden stets ehrlich, redlich und professionell und in deren bestmöglichem Interesse zu handeln (Artikel 17). Dieses Erfordernis soll ausdrücklich auch für Marketing-Mitteilungen, die eindeutig als solche erkennbar sein müssen, bestehen (Artikel 17 Abs 2).
Personalisierte Beratung: Neben rechtzeitig vor Vertragsabschluss zu erteilenden allgemeinen Auskünften (zB Identität, Anschrift) haben Versicherungsvermittler bzw. –unternehmen auch darüber aufzuklären, ob sie Beratungen zum angebotenen Versicherungsprodukt anbieten oder nicht und ob sie den Kunden vertreten oder für Rechnung und im Namen eines Versicherungsunternehmens handeln (Artikel 18 lit a v). Im Beratungsfall ist eine persönliche Empfehlung an den Kunden zu richten, in der erläutert wird, warum ein bestimmtes Produkt seinen Wünschen und Bedürfnissen am besten entspricht; grundsätzlich hat jeder angebotene Versicherungsvertrag den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden zu entsprechen (Artikel 20). Es wird demnach an jeden Kunden eine individualisierte Beratung zu erteilen sein. Gerade bei komplexeren Versicherungsprodukten kann dies zu besonders weitreichenden Informations- und Aufklärungspflichten führen.
Mit dieser am einzelnen Kunden orientierten Informationspflicht korrespondieren Vorgaben für die Vergütung von Versicherungsvertreibern (Artikel 17 Abs 3). Diese sollen nicht in einer Weise entlohnt werden, die mit der Pflicht, im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, kollidiert. Eine Fehlberatung infolge von Interessenkonflikten soll vermieden werden. Es dürfen insbesondere durch die Festsetzung der Vergütung oder die Setzung von Verkaufszielen keine Anreize für den Versicherungsvertreiber geschaffen werden, einem Kunden ein bestimmtes Versicherungsprodukt zu empfehlen, obwohl er ein anderes, den Kundenbedürfnissen besser entsprechendes Produkt anbieten könnte. Demzufolge haben Versicherungsvertreiber den Kunden vor Abschluss des Versicherungsvertrages über allfällige Beteiligungsverhältnisse am Versicherungsunternehmen sowie über die Vergütung, die er im Zusammenhang mit dem angebotenen Versicherungsprodukt erhält, zu informieren (Artikel 19 Abs 1 a, c)
Ausnahmen von der Informationspflicht sieht die Richtlinie im Wesentlichen nur für die Versicherung von Großrisiken vor (Artikel 22).
Koppelungsverbot: Wird ein Versicherungsprodukt zusammen mit einem Nebenprodukt oder einer Nebendienstleistung, die keine Versicherung ist, im Paket oder in derselben Vereinbarung angeboten, hat der Versicherungsvertreiber den Kunden darüber zu informieren, ob auch ein getrennter Erwerb möglich ist („Querverkäufe“). Ist dies der Fall, ist zusätzlich eine angemessene Beschreibung der einzelnen Produkte vorzunehmen; ebenso sind die Kosten der einzelnen Bestandteile aufzuschlüsseln. Stellt das Versicherungsprodukt lediglich eine Ergänzung des anderen Produkts dar (zB Handy- bzw. Tabletversicherung), soll dem Kunden auch der alleinige Erwerb ohne Versicherungsvertrag möglich sein.
Im Ergebnis ist daher mit einem erhöhten und komplexeren Beratungsaufwand für Versicherungsvertreiber zu rechnen, der aufgrund der Einbeziehung des (Online-)Direktvertriebs auch für Versicherungsunternehmen relevant sein wird. Derzeit bestehende Unklarheiten sollten im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht geklärt werden. So ist etwa zu hoffen, dass dabei das Spannungsverhältnis zwischen der gebundenen Tätigkeit eines Versicherungsagenten für ein (oder mehrere) Versicherungsunternehmen und der nach der IDD bestehenden Verpflichtung, im bestmöglichen Interesse des Kunden zu handeln, ausgeräumt wird.
4. Informationsblatt zu Versicherungsprodukten
Beim Vertrieb von Nichtlebensversicherungsprodukten ist dem Kunden vor Abschluss des Versicherungsvertrages auf Papier oder einem anderen dauerhaften Datenträger ein standardisiertes Informationsblatt zum betreffenden Versicherungsprodukt zu übergeben (Artikel 20 Abs 5).
Das Informationsblatt ist von demjenigen zu erstellen, der das Versicherungsprodukt konzipiert hat. Diese Verpflichtung wird demnach in der Regel Versicherungsunternehmen treffen.
5. Produktgenehmigungsverfahren
Versicherungsunternehmen und -vermittler, die Versicherungsprodukte zum Verkauf an Kunden konzipieren, haben unternehmensintern ein Verfahren für die Genehmigung jedes einzelnen Versicherungsprodukts sowie auch jeder wesentlichen Anpassung bestehender Versicherungsprodukte zu implementieren, bevor diese vertrieben werden. Dabei ist ein bestimmter Zielmarkt für jedes Produkt festzulegen und die Risiken für diesen Zielmarkt zu identifizieren. Dadurch soll sichergestellt werden, dass das Versicherungsprodukt und die beabsichtigte Vertriebsstrategie dem Bedarf des ausgewählten Zielmarkts entsprechen. Die Ergebnisse dieser Auswertung sind regelmäßig, d.h. auch nach der Markteinführung von Produkten, zu überprüfen (Artikel 25). Es sind daher laufende Produkttests notwendig.
Ausgenommen vom Produktgenehmigungsverfahren sind wiederum nur Großrisiken. In allen anderen Versicherungssparten wird das geschilderte Verfahren demgegenüber zu implementieren zu sein. Auch dies wird zu einem nicht zu unterschätzenden Mehraufwand vor allem für Versicherungsunternehmen im Rahmen der Produktentwicklung führen.
Die Anforderung des Produktgenehmigungsverfahrens bergen aus unserer Sicht einige Unklarheiten. Fraglich erscheint etwa, in welchen Zeitabständen Produkttests vorzunehmen sind, um de, Erfordernis der regelmäßigen Überprüfung zu entsprechen. Auch die Leitlinien der Europäischen Aufsichtsbehörde für Versicherungswesen und betriebliche Altersversorgung (EIOPA) beseitigen nicht sämtliche Auslegungsschwierigkeiten. Auch in diesem Zusammenhang ist Klärungsbedarf durch den Gesetzgeber gegeben.
6. Versicherungsanlageprodukte
Besondere Regelungen bestehen teils für Versicherungsanlageprodukte (Artikel 26 – 30). Dabei handelt es sich um Versicherungsprodukte mit einem Fälligkeits- oder Rückkaufswert, der Marktschwankungen ausgesetzt ist (zB Lebensversicherung). Nach der IDD sind wirksame Vorkehrungen zu treffen, um Interessenkonflikte, die den Kundeninteressen schaden, zu vermeiden. Können Interessenkonflikte dennoch nicht ausgeschlossen werden, ist dem Kunden rechtzeitig vor Vertragsabschluss die potentielle Quelle des Interessenkonflikts anzuzeigen.
Beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten sind ferner zusätzliche Informationspflichten, die über die bereits oben behandelten hinausgehen, zu berücksichtigen. Diese betreffen vorwiegend die Kosten des Versicherungsanlageprodukts und deren Tragung; der Kunde soll die Gesamtkosten sowie die Wirkung auf die Anlagerendite verstehen können. Solche Informationen werden dem Kunden regelmäßig, mindestens aber jährlich, während der Laufzeit der Anlage zur Verfügung zu stellen sein (Artikel 29).
7. Vorgaben für die Berufsausübung
Nach der IDD ist sicherzustellen, dass Versicherungsvertreiber über angemessene Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, die sie zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen (Artikel 10). Um ein angemessenes Leistungsniveau aufrechtzuerhalten, wird eine laufende Weiterbildungsverpflichtung von mindestens 15 Stunden pro Jahr vorgesehen (Artikel 10). Diesbezüglich sind auch Kontrollmechanismen einzurichten, um Kenntnisse und Fähigkeiten der Versicherungsvertreiber bewerten zu können.
Um zu gewährleisten, dass diesen Anforderungen entsprochen wird haben Versicherungsunternehmen interne Leitlinien zu erlassen und diese laufend zu kontrollieren. Dafür ist ein Verantwortlicher einzusetzen und dessen Name der zuständigen Behörde bekanntzugeben.
8. Sanktionsmechanismen & Strafen
Die Richtlinie trägt den Mitgliedsstaaten auf, dafür Sorge zu tragen, dass Verstöße gegen die IDD bzw. die nationalen Umsetzungsnormen mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Verwaltungssanktionen oder anderen Maßnahmen geahndet werden. Die nationalen (Aufsichts-)Behörden sollen mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet werden. Die Strafen sollen gegen die Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans des betroffenen Unternehmens durchgesetzt werden. Es wird damit eine persönliche Haftung begründet.
Grundsätzlich sind Verstöße auch umgehend zu veröffentlichen, wobei dabei auch Informationen zu Art und Charakter des Verstoßes sowie zu den verantwortlichen Personen bekannt gemacht werden sollen.
Zusätzlich sollen empfindlich hohe Geldstrafen verhängt werden können: Für juristische Personen soll eine Höchststrafe von mindestens 5 000 000 EUR bzw. 5 % des jährlichen Gesamtumsatzes des Unternehmens bis zu maximal dem Zweifachen der infolge des Verstoßes erzielten Gewinne bzw. verhinderten Verluste, sofern sich diese beziffern lassen, verhängt werden können (Artikel 33 Abs 2 e). Für natürliche Personen beträgt die maximale Geldstrafe mindestens 700 000 EUR und maximal das Zweifache der infolge des Verstoßes erzielten Gewinne bzw. verhinderten Verluste, sofern diese bezifferbar sind (Artikel 33 Abs 2 f).
Ferner sollen auch eine Anordnung, wonach das untersagte Verhalten einzustellen ist sowie ein Widerruf der Eintragung als Versicherungsvermittler möglich sein (Artikel 33 Abs 3 a und b).
Den Mitgliedsstaaten steht es im Übrigen frei, noch strengere Sanktionen vorzusehen.
9. Ausblick
Wie eingangs erwähnt, bleibt den Mitgliedsstaaten nur begrenzt Zeit, um die Vorgaben der IDD umzusetzen. Die dargestellten Neuerungen stellen einen Mindeststandard dar und werden daher jedenfalls in die nationalen Rechtsordnungen zu übertragen sein. Welchen Weg der österreichische Gesetzgeber dabei einschlagen wird, kann derzeit nicht gesagt werden. Feststehen dürfte allerdings bereits jetzt, dass die ab 23.02.2018 geltende Rechtslage für Versicherungsvermittler und Versicherungsunternehmen eine komplexere sein wird. Insbesondere im Zusammenhang mit den erweiterten Informationspflichten und dem zwingend durchzuführenden Produktgenehmigungsverfahren besteht wohl bereits jetzt akuter Handlungsbedarf für Versicherungsvermittler und –unternehmen, um die internen Abläufe zeitgerecht anpassen zu können und sich nicht dem Risiko, mit empfindlichen Geldstrafen (persönlich) belastet zu werden, auszusetzen.
BLS Rechtsanwälte berät Sie gerne in allen Fragen des Versicherungsrechts und steht Ihnen insbesondere auch bei der Vorbereitung auf die Herausforderungen der IDD unterstützend zur Seite.
Stefan Humer Philipp Scheuba Helmut Überbacher