07.05.2024 11:10 Alter: 199 days
Kategorie: LEGAL NEWS

Arbeitnehmer:innenschutz gegen Elektrounfälle (EN 50110)

Verantwortung, Haftung, Konsequenzen


Haben Sie schon einmal die grauenhaften Personenschäden gesehen, die sich als Folge eines Hochspannungs-Elektrounfalls in einem Unternehmen ergeben haben? Wir schon, ebenso wie die daraus resultierenden straf- und zivilgerichtlichen Konsequenzen.

Als Folge davon beschäftigen wir uns seit mehr als 10 Jahren mit der Frage, was Betriebsinhaber:innen und Geschäftsführer:innen zu unternehmen haben, um solche Unfälle oder zumindest persönliche Haftungen zu vermeiden.

Worum geht es?

  1. Nach § 3 Abs 1 ETG (Elektrotechnikgesetz 1992) sind elektrische Anlagen und Betriebsmittel so zu errichten, herzustellen, instand zu halten und zu betreiben, dass ihre Betriebssicherheit, die Sicherheit von Personen und Sachen, ferner in ihrem Gefährdungs- und Störungsbereich der sichere und ungestörte Betrieb anderer elektrischer Anlagen und Betriebsmittel sowie sonstiger Anlagen gewährleistet ist. Nach Abs 2 sind im Gefährdungs- und Störungsbereich elektrischer Anlagen und elektrischer Betriebsmittel jene Maßnahmen zu treffen, welche für alle aufeinander einwirkenden elektrischen und sonstigen Anlagen sowie Betriebsmittel zur Wahrung der elektrotechnischen Sicherheit und des störungsfreien Betriebes erforderlich sind.

  2. Unter anderem auf Grundlage dieses § 3 ETG wurde die ETV (Elektrotechnikverordnung) erlassen. Nach § 2 Abs 1 ETV zählen zu den im Geltungsbereich des ETG anzuwendenden „Elektrotechnische Sicherheitsvorschriften“ unter anderem die in Anhang II kundgemachten elektrotechnischen Normen. Wer die im Anhang II angeführten Normen einhält, erfüllt nach § 3 Abs 2 ETV als Betreiber einer elektrischen Anlage oder eines elektrischen Betriebsmittels die in § 3 Abs 1 und 2 ETG angeführten Verpflichtungen. Zu den in Anhang II aufgelisteten Normen zählt auch die ÖVE/ÖNORM EN 50110-1:2014-10-01 (Anhang II, Nr. 8; „EN 50110“).

  3. Nach § 3 Abs 1 ASchG (ArbeitnehmerInnenschutzgesetz) sind Arbeitgeber:innen verpflichtet, für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer:innen in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen. Arbeitgeber:innen haben die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit sowie der Integrität und Würde erforderlichen Maßnahmen zu treffen, einschließlich der Maßnahmen zur Verhütung arbeitsbedingter Gefahren, zur Information und zur Unterweisung sowie der Bereitstellung einer geeigneten Organisation und der erforderlichen Mittel. Nach Abs 2 haben sich Arbeitgeber:innen unter Berücksichtigung der bestehenden Gefahren über den neuesten Stand der Technik und der Erkenntnisse auf dem Gebiet der Arbeitsgestaltung entsprechend zu informieren. Im ASchG ist in 16 Bestimmungen geregelt, dass Arbeitgeber:innen den Stand der Technik zu beachten haben.

  4. Auf der Grundlage der in den §§ 17, 20, 25 Abs. 7, 33 bis 38, 60 Abs. 1 und 118 Abs. 3 ASchG enthaltenen Verordnungsermächtigungen wurde die ESV 2012 (Elektroschutzverordnung 2012) erlassen. Nach § 2 ESV 2012 haben Arbeitgeber:innen zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer:innen vor Gefahren, die vom elektrischen Strom ausgehen, unter anderem dafür zu sorgen, dass elektrische Anlagen und elektrische Betriebsmittel nach den anerkannten Regeln der Technik betrieben werden, sich stets in sicherem Zustand befinden und Mängel unverzüglich behoben werden. Zu den hier genannten Regeln der Technik zählt vor allem auch die EN 50110.

  5. Adressat all dieser rechtlichen Bestimmungen und der EN 50110 sind die Arbeitgeber:innen. Für die Umsetzung der Norm ist der Betriebsinhaber bzw. die Geschäftsführung verantwortlich.

  6. Die EN 50110 legt in organisatorischer und sonstiger Hinsicht die wesentlichen Maßnahmen fest, die von Unternehmen als Arbeitgeber zur Vermeidung von Elektrounfällen einzuhalten sind. Die EN 50110 wird deswegen seit geraumer Zeit auch von den Straf- und Zivilgerichten als Sorgfaltsmaßstab im Falle von Elektronfällen herangezogen. Auch die Arbeitsinspektionen kennen die Norm und wenden sie an.

  7. Andererseits bietet die EN 50110 weite Gestaltungsmöglichkeiten, die nach den Erfahrungen unserer Kundinnen und Kunden nicht nur in der Lage sind, das Risiko von Elektronfällen drastisch zu senken, sondern auch Betriebsinhaber:innen und Geschäftsführer:innen vor straf- und zivilrechtlichen Haftungsrisken zu bewahren. Umso erstaunlicher ist, dass die Einführung der nach der EN 50110 notwendigen Maßnahmen unter Ausnutzung des sich aus der Norm ergebenden Gestaltungsspielraums in der überwiegenden Zahl österreichischer Unternehmen bis heute nicht erfolgt ist. Das hat drastische Konsequenzen:

    • Die Gesamtverantwortung für den sicheren Betrieb der elektrischen Anlage ETG, ETV, ESV, ASchG und EN 50110 verbleibt beim Betriebsinhaber/der Betriebsinhaberin bzw. bei der Geschäftsführung, weil diese nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, ihre Verantwortung an – auch externe – Dritte auszulagern.
    • Der Betriebsinhaber/die Betriebsinhaberin bzw. die Geschäftsführung verletzt permanent den Stand der Technik nach ETG und ASchG und die EN 50110.
    • Kommt es zu einem Elektrounfall, kann das die – auch strafrechtliche – Haftung des Betriebsinhabers/der Betriebsinhaberin bzw. der Geschäftsführung und des Unternehmens sowie den Verlust von Versicherungsschutz zur Folge haben.

 

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07.05.2024